15 Jahre ist es inzwischen her das Yoichi seine Heimat und seine Eltern besucht hat.
Nach der Scheidung seiner Eltern hatte er sich von seinem Vater abgewandt und als sich ihm die Chance bot in Tokyo zu studieren, diese ergriffen um ihm den Rücken zu kehren.
Doch nun ist sein Vater gestorben und auf drängen seiner Frau macht sich Yoichi gleich auf den Weg zurück in seine alte Heimat, wo er alte Verwandte und Bekannte wieder sieht und durch die gemeinsamen Gespräche bei der Totenwache viele alte Erinnerungen aufleben lässt und sich ihm langsam eine neue Sicht auf das Leben seines Vaters und die damaligen Ereignisse erschließt.
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"Goin way way back to the early years..."
Ich muss gestehen, ich mag Geschichten die davon handeln das jemand geistig in seine eigene Vergangenheit zurück reist und sein bisheriges Leben oder das von nahe stehenden Personen erforscht und überdenkt, "Only Yesterday" oder "Heimweg" sind schöne Beispiele dafür.
Und auf genau so eine Reise nimmt uns auch Jiro Taniguchi in seinem biografisch angehauchtem "Die Sicht der Dinge" mit. In seiner gewohnt gefühlvollen Art erzählt er die Geschichte eines heimkehrenden Sohnes, der die Scheidung seiner Eltern nicht verkraften konnte, seinem Vater dafür die Schuld gab, von zuhause wegzog und seit dem den Kontakt mied.
Doch als er nun zur Beerdigung seines inzwischen gestorbenen Vaters zurückkehrt, erfährt er durch Gespräche mit den Verwandten eine erweiterte Sicht auf die damaligen Geschehnisse und beginnt langsam und schmerzhaft zu verstehen das sich nichts so einfach in schwarz und weiß einteilen lässt und das es ungerecht war einfach all sein Leid wegen der Scheidung seinem Vater anzulasten und ihn dafür mit Nichtachtung zu strafen.
So verpackt Taniguchi wieder einmal fundamentale Lebensweisheiten in eine ruhig erzählte Geschichte, die ohne Kitsch und Knalleffekte trotzdem große Gefühle auszulösen weiß und den Leser nicht nur in den Bann zieht, sondern auch richtig mitleiden lässt.
Es ist sicher keine Schande und auch kein Wunder wenn dem ein oder anderen beim Lesen von "Die Sicht der Dinge" ein Kloß im Hals steckt oder sogar ein paar Tränen fließen, konfrontiert einem die Geschichte doch mit Themen denen man sonst gern ausweicht oder über die man sich einfach keine Gedanken macht.
Da steht die Erkenntnis das sich Familienschicksale oftmals an nicht zu kontrollierenden, von außen Kommenden Ereignissen (in diesem Fall einer Feuerkatastrophe) entscheiden und das es da nicht zählt wie ungerecht das aber ist und ob da niemand etwas dafür kann. Genauso wie das sich auch die größte Liebe nicht unbedingt ewig hält und manchmal Beziehungen auch auseinander gehen ohne das man jemanden dafür die alleinige Schuld geben kann.
Und nicht zuletzt fragt Taniguchi hier natürlich auch danach wie wenig wir selbst eigentlich von unseren Eltern wissen. Wie sie früher lebten, was ihre Träume sind und ihre Hoffnungen? Würde man gefragt ob man seine Eltern kennt würden wohl die meisten spontan mit ‚ja natürlich’ antworten, aber was man kennt ist doch meist nur die tägliche Routine des Zusammenlebens.
Als Kind ist man sowieso nur mit sich selbst beschäftigt und auch als Jugendlicher und junger Erwachsener steht eher das langsam fortschreitende abnabeln vom Elternhaus und der Beginn eines eigenständigen Lebens im Fordergrund. Geschichten über ‚damals wars’ gibt’s höchstens zu Geburtstagen und anderen Familienfeierlichkeiten und auch dann nur eher oberflächliche, lustige Anekdoten.
Das ist wohl auch mehr oder weniger normal so, aber umso wichtiger und schöner ist es wenn uns Taniguchi mal wieder daran erinnert das wir nicht ewig Zeit haben solche Versäumnisse aufzuholen und das uns diese Erkenntnis dann auch allzu oft erst dann kommt wenn es zu spät ist und dann dafür sehr schmerzhaft.
Wie auch in seinen anderen persönlichen Werken ( Träume von Glück) zeigt Jiro Taniguchi so auch dieses Mal wieso er (auch gerade im Ausland) zu Japans meistgelobten Comicautoren zählt und auch wenn es zu erwarten ist das vielen die eher biederen (trotzdem aber hervorragenden) Zeichnungen nicht so gefallen dürften, so muss ich diesen Manga dennoch jedem Mangaleser wärmstens an Herz legen, denn solch reife, ehrliche und zu Herzen gehende Kost ist leider selten in diesem Genre.
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